Rezension: Die Strömung von Cilla & Rolf Börjlind

strömungIn diesem recht dicken Kriminalroman, der einem besser nicht auf den Fuß fallen sollte, geht es um ein brisantes und derzeit mal wieder hochaktuelles Thema: Rassismus.
Wir haben eine Ermittlerin, die entgegen ihrer Qualifikationen in einem kleinen Kaff in Schweden als „normale“ Polizistin anfängt. Schnell gerät sie in einen großen Fall, denn beim freudigen Spiel im Sandkasten wird der kleinen Emelie das Genick gebrochen. Dieser Mord soll nicht der einzige Mord an einem Kind bleiben, der zweite folgt. Bald kommt der Gedanke auf, dass Fremdenhass ein Motiv sein könnte. Denn beide Kinder hatten einen Migrationshintergrund. Viele Spuren deuten auf eine rechtsradikale Gruppierung, aber ein DNA-Abgleich bringt bald eine merkwürdige Übereinstimmung hervor, der die Ermittlung tief in die Vergangenheit und zu einer Hippie- Kommune auf eine abgelegene Insel führt..

Stil, Machart, Meinung
Ich muss schon sagen, der Anfang beginnt gleich sehr geheimnisvoll mit einem mysteriösen Treffen einer Vereinigung, dann einer kurzen Szene mit der Ermittlerin Olivia und dann direkt einer Szene mit dem Mord an der kleinen Emelie im Sandkasten. Der Leser kann nicht anders, er ist gefesselt – und möchte natürlich den Zusammenhang zwischen den Morden und der Gruppierung verstehen. Das finde ich sehr gelungen, denn so hat der Leser etwas im Hinterkopf, was den Ermittlern im Buch da noch überhaupt nicht klar ist. Man möchte wissen, wie es weitergeht und man denkt selbst mit.

Der Schreibstil ist zwar irgendwie ausführlich, die Geschichte liest sich trotzdem gut. Trotzdem habe ich irgendwie stellenweise nicht recht den Ansporn zum weiterlesen gehabt, da diese Geschichte das Wort Roman in der Genrebezeichnung Kriminalroman sehr ernst nimmt und den einzelnen Figuren und vielen Nebensträngen Raum gibt. Ich finde das schon gut gemacht, hatte aber irgendwie eine Menge Überstunden abzuleisten und war dann eine Weile in den Abendstunden eher weniger geneigt, den Wälzer in die Hand zu nehmen..
Eine Spezialität, die mir in vielen Szenen aufgefallen ist, ist diese hier: Szenen/ Dialoge sind oft nicht nur aus einer Perspektive geschrieben. Damit meine ich, das beispielsweise in einer Szene mit 2 Personen erst die eine Person sich irgendetwas denkt, und dann danach auch die Gedanken der anderen erwähnt werden. Das fand ich irgendwie merkwürdig. Das Buch war jetzt nicht damit überladen, aber ich finde es irgendwie unpassend. Das ist sicherlich Geschmackssache, aber mir fiel es auf.
Eine weitere Auffälligkeit: Es gibt ganz schön viele Ermittler! Wir haben die Polizei in dem kleinen Kaff Schonen, da ist besonders die Ermittlerin Olivia, der neue Chef und ein merkwürdiger Kollege interessant. Dann übernimmt Stockholm allerdings den Fall, und da gibt es dort Staatsanwältin Mette und noch zwei Ermittler, die oft erwähnt werden. Mette und Olivia kennen sich, und der gemeinsame Bekannte und ehemalige Kommissar Tom wird auch noch an dem Fall mitarbeiten, bei dem ihm später wiederum ein anderer alter Bekannter hilft. Als Krimileser, der im Vergleich zum Durchschnitt wohl eher weniger nordische Krimis konsumiert, hatte ich mit den Namen und Personen sehr lange meine Probleme.
Thema: Rassismus
Das Thema Rassismus kommt in dem Kriminalroman oft und auf ganz verschiedene Arten zur Geltung. Gelungen fand ich, zunächst nicht zu erwähnen welche Hautfarbe die Opfer haben. Die kleine Emelie wird ermordet, ein süßes Mädchen in einem Sandkasten. Erst später kommt einem Ermittler der Gedanke: Ist es, weil sie schwarz war? Das finde ich sehr gut, weil es einfach genau so sein sollte in der Wahrnehmung der Menschen. Ich persönlich sehe wegen der Abstammung keinen Unterschied in einem Menschen (oder diesem Fall Mordopfer), und ich finde diese Selbstverständlichkeit ganz gut gemacht. Am Anfang gibt es dann wieder ein paar Anspielungen anderer Art zu viel, es gibt rassistische Kollegen, es wird immer mal erwähnt das der Fremdenhass zunimmt, dann sitzt da eine ausländische Frau rum.. da wurde es mir teilweise etwas viel mit den Anspielungen. Wichtig ist jedoch, dass bei so einem brisanten Thema die Botschaft von Autor an Leser die richtige ist. Und die ist genau richtig! Besonders die Gedanken von Ermittlerin Olivia sind in der Richtung manchmal sehr gut und es werden genau die richtigen und aktuellen Fragen aufgeworfen. Die Ermittler machen bei den Opfern keinen Unterschied und verurteilen die Rassisten zutiefst. Diese Leute werden auch sehr gut dargestellt (also eher nicht gut, aber mit dem leichten Versuch einer Erklärung für das bekloppte Verhalten).
Es gibt auch aktuellen Bezug, zum Beispiel wird mehrmals Anders Behring Breivik (das ist der verrückte Massenmörder, der auf der Insel in Norwegen die vielen Jugendlichen getötet hat) und seine Gesinnung sowie sein Manifest erwähnt. Und am Ende der Lektüre bleibt einem irgendwie der gruselige Gedanke, dass die schlimmen Leute aus diesem Buch sicherlich real existieren und ihr beängstigendes Gedankengut ausleben. Besonders in Bezug auf viele aktuelle Ereignisse, auch in Deutschland, stimmt das besorgt und nachdenklich. Umso besser finde ich es, dass dieses Buch das Thema so aufgreift und vielleicht bei Leuten, die im Anfangsstadium des Fremdenhasses stecken, noch etwas Gutes bewirken kann.
Die Reihe
Wie mir am Anfang leider nicht klar war, ist dieses Buch Teil 3 einer Reihe. Hauptermittler sind anscheinend die Ermittlerin Olivia, die Staatsanwältin Mette und der ehemalige Kommissar Tom. Dazu gehören mehrere Freunde und Verwandte und kleine, nette Geschichten. Ich habe mich von Anfang an gefragt, ob diese Geschichte nicht schon eine Menge Vorgeschichte hat, die ich verpasst habe. Es wird nebenbei immer viel Vergangenheit erwähnt. Auf dem Umschlag des Buches und auch in der Inhaltsangabe vorne im Buch wird davon leider kein einziges Wort erwähnt, und das finde ich sehr schade. Dann am Ende, als ich mit dem Lesen fertig war, präsentierte man mir hinten im Buch die Cover zu Teil 1 und Teil 2.
Ich empfehle allen, die gern dieses Buch lesen möchten, unbedingt bei Teil 1 anzufangen. Ich glaube diese Ermittler und deren Umfang haben eine Menge zu bieten, ich habe bei diesem Teil nur leider oft das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben. Bei vielen Buchreihen bin ich schon quereingestiegen, und bei den meisten stand dann in der Rezension soetwas wie „macht überhaupt nichts, hier einzusteigen. Anfang wäre sicherlich besser gewesen, aber man kommt problemlos überall mit“. Bei diesem Buch hatte ich allerdings wirklich das Gefühl, etwas verpasst zu haben, hier kam man nicht immer so gut mit wie bei anderen Büchern. Ich würde mich auch nicht beschweren, wenn ich die Information „Teil 3“auf dem Buch gefunden hätte.
Ich bin dennoch froh, nicht erst mit der Reihe angefangen zu haben, denn ich fand den aktuellen Bezug in Sachen Rassismus zu dieser Zeit recht passend. Wer es also vor Allem auf das Thema Fremdenhass abgesehen hat, kann das Buch ruhig so lesen. Wer allgemein gern Krimis liest und es nicht eilig hat, der sollte unbedingt bei Teil 1 anfangen, ich denke bei den vielen Ermittlern gibt es eine Menge Erlebnisse, die mir einfach fehlen.
Was lernen wir daraus?
Ganz kurz und knackig: Immer irgendwo verlauten lassen, wenn ein Buch nicht Teil 1 einer Reihe ist! Oder aber die Geschichte so genial schreiben, dass weder neue noch alte Leser sich darüber beschweren können, das sie etwas verpasst haben.
Ein weiterer Punkt: Ich bin kein Fan von Dialogen, in der manchmal die Gedanken von zwei Personen zu lesen sind. Wenn man es so aufziehen möchte, dann könnte man das natürlich gewollt komplett so durchziehen, um die gegensätzlichen Gedanken von Gesprächspartnern oder Missverständnisse hervorzuheben, aber so war es hier nicht gemacht. Ich finde eine Perspektive irgendwie besser, man ist dann besser drin und alles ist irgendwie glaubhafter.
Fazit:
Ein Kriminalroman, der ganz schön lang ist aber trotzdem einen sehr interessanten Plot und ein leider aktuelles Problem gut verknüpft und darstellt. Der Leser muss mitdenken und hat trotzdem eine Menge kleiner und großer Geschichten in einem Krimi. Es wird definitiv spannend, am Ende ist es auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Trotzdem ist der Thriller-Liebhaber, der gern aufgeregt jede Seite umblättert und auch mal Action und Brutalität schätzt, bei diesem Werk eher fehl am Platz. Es ist ein Kriminalroman und Krimi – oder Romanfans werden hier ihre Freude haben. Man sollte Zeit mitbringen und bereit sein, den Personen und der Story Raum zu geben. Wie gesagt, empfehle ich unbedingt bei 1 anzufangen. Einen besonderen Bonuspunkt gibt’s für den aktuellen Bezug und die gute Message, daher komme ich auf 4 Sterne und empfehle dieses Buch den richtigen Lesern unbedingt. Es ist jedoch sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Deshalb hoffe ich, dass meine Rezension dem potentiellen Leser da die richtigen Informationen gibt. Ich habe ja gar nicht so viele Kritikpunkte, vergebe aber trotzdem „nur“ 3 von 5 Sternen. Besonders die vielen Ermittler und die fehlenden Informationen aus den beiden Büchern davor haben mich teilweise verwirrt, nur mich war es trotz gutem Schreibstil und gutem Plot dann doch etwas lang. Für alle, die die beiden Bücher davor gelesen und für gut befunden haben, natürlich eine absolute Leseempfehlung; für Interessierte zum Thema Rassismus und Fremdenhass auch.

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