Rezension: Neuntöter von Ule Hansen (Emma Carow #1)

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Eigentlich hat die Berliner Fallanalystin Emma Carow ja schon mit ihrem eigenen Trauma zu tun- vor allem als ihr Vergewaltiger von damals nun auch noch ein Buch geschrieben hat. Zu allem Überfluss kommt dann aber auch noch der Mumienmörder hinzu. Ein Junge findet auf einem Baugerüst mitten in der Innenstadt Berlins drei hoch oben hängende Leichen. Diese sind mit Panzertape wie Mumien eingewickelt. Schnell merkt Emma, dass mehr als ein Täter bei diesem Kraftakt seine Finger im Spiel hatte und fürchtet schlimmes für die Opfer. Ein neuer Kollege möchte ihr außerdem ihre Position streitig machen –damit kann Emma überhaupt nicht umgehen. Denn so gut sie in ihrem Job auch ist – mit Menschen im Allgemeinen und Teamplay im Besonderen hat sie es eher nicht so.

Stil, Machart, Meinung

In diesen Thriller kam ich irgendwie nicht so gut rein. Das lag zum einen daran, dass in den ersten Szenen Emma Carow, die Hauptperson, ihre Tötungsfantasien an ihrem Vergewaltiger auslebt. Zum anderen wird der Fall nicht gerade spannend eingeleitet, sondern eher mit dem schnöden Widerkauen der Ermittlungsakte. Klar, dass ist eindeutig realistischer und auch mal was anderes, in Zusammenhang mit Abtörner Nummer 1 habe ich das Buch jedoch erst einmal wieder zur Seite gelegt. Als es dann an die Profilerstellung ging, wurde es sehr interessant. So langsam fand ich in die Geschichte rein und war dann nach dem ersten Viertel doch in der Story drin. Die Spannung steigt, wenn auch einige Längen dabei sind. Ich finde den Schreibstil eigentlich recht prägnant, trotzdem hätte man sicherlich problemlos 100 Seiten aus der Geschichte streichen können um die Spannung zu erhöhen.

Kommen wir zur Protagonistin: Emma ist sicherlich nicht Everybody´s Darling – meiner auch nicht. Serienkiller scheint sie wesentlich besser zu verstehen als ihre Mitmenschen, sie eckt permanent an. Teamfähigkeit scheint ihr kein Begriff, und auch ihre Entscheidungen und Alleingänge sowie ihre sexuellen Vorlieben fand ich größtenteils befremdlich. Ich finde es vom Autorenduo trotzdem mutig, die Geschichte konsequent aus ihrer Perspektive zu erzählen. Wahrscheinlich macht es den Charme dieses Thrillers aus, dass man seinen Erzähler nicht sonderlich mag, trotzdem irgendwie versteht und die meiste Zeit „Boa, tu es nicht“ denkt und den Kopf schüttelt. Vielleicht muss man so viel durchgemacht haben und solche Gefühle in sich tragen, um die Killer zu verstehen?

Einige Nebenfiguren bleiben recht blass, man merkt sie sich aber recht schnell. Andere, wie die schwangere Chefin und der Ermittlungsleiter Lutz hingegen fand ich sehr erfrischend. Mit Urbexern (Urban Explorern) haben die Autoren auch ein interessantes Thema in die Geschichte reingenommen, von dem ich noch nie gehört hatte. Das gibt einen Pluspunkt.

Das Ende hat zwar eine schlüssige Auflösung, andererseits jedoch einen eher fragwürdigen Showdown.

Was lernen wir daraus?

Ich finde den Aspekt sehr interessant, die gesamte Geschichte durch die Perspektive einer einzigen Person zu erzählen – besonders, wenn diese auch noch eher unsympathisch ist und darüber hinaus fragwürdige Entscheidungen trifft. Es ist einfach mal was anderes, wenn man beim Lesen Zweifel an der Perspektive hat und viele Entscheidungen der Hauptperson in Frage stellt. Nicht nur eine, wie so oft mal, sondern echt viele Entscheidungen hatten mit dem gesunden Menschenverstand so viel zu tun wie ein Fleischsalat mit veganem Lebensstil. Vielleicht soll der Leser sich dadurch überlegen fühlen und nicht jeden Satz auf Anhieb glauben. Das könnte übrigens auch die Erklärung dafür sein, dass die Autoren den Leser mehrmals mit einem dramatischen Satz aufs Glatteis führen, um dann danach zu schreiben „das tat sie nicht“ oder „das war er nicht“. Dieses stilistische Mittel hat mich jedoch eher irritiert als mal erfrischend anders zu sein.

Zurück zum Ausgangspunkt: Ein wirklich negativer, unsympathischer Hauptcharakter aus dessen Perspektive eine Geschichte erzählt wird, ist ja eher selten. Ein schlimmes Trauma in der Vergangenheit und ein gutes Gespür für die Serienkiller auf der einen Seite, keine Sozialkompetenz und bekloppte Entscheidungen auf der anderen Seite. Der Leser hadert mit sich und es ist nicht alles so einfach. Es geht um Graustufen. Irgendwie interessant, ich werde diese Antiheld – Sache mal im Hinterkopf behalten.

Fazit

Ich kam in die Geschichte zunächst nicht rein, dann war ich plötzlich doch drin. Mit der Hauptperson wurde ich zwar nicht komplett warm, sie brachte aber mal eine ganz neue Komponente in die Erzählung eines Thrillers. An einigen Stellen war ich genervt, an anderen total gefesselt. Ich vergebe 3 von 5 Sternen und könnte mir vorstellen, den nächsten Teil um die Ermittlerin zu lesen. Vielleicht wird es gerade mit der Entwicklung der Ermittlerin besser. Aber es war doch auch mal was anderes. Für Leser, die keinen 0815 – Thriller wollen und Berliner oder Urbexer sind ist der Thriller sehr empfehlenswert – jeder andere muss nun entscheiden, ob er es mal mit einer fragwürdigen Ermittlerin versuchen möchte..

Hier gibt´s die Details auf der Verlagsseite. Tipp: Guckt euch unbedingt im Special den Trailer an, dann gibts einen Einblick in den Leichenfundort!

3 Antworten auf „Rezension: Neuntöter von Ule Hansen (Emma Carow #1)

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  1. Eigentlich mag ich ja ungewöhnliche Protagonisten und „everybodys darling“ müssen sie für meinen Geschmack auch nicht sein. Aber wenn man mit der Erzählerin nicht klar kommt, hat man natürlich auch gute Chancen, dass einem das konplette Buch nicht gefällt. Es ist also schon ein kleines Experiment, zu diesem Krimi zu griefen, wie mir scheint. Mal sehen, ob ich es wage. Neugierig bin ich auf jeden Fall geworden und habe da Buch mal auf meine sowieso schon extrem lange Leseliste gesetzt.
    LG Gabi

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